Gewalt, Verbrechen und ständiger emotionaler Ausnahmezustand: Viele große Künstler der Geschichte haben ihre tiefsten psychischen Traumata und inneren Kämpfe in Kunstwerke verwandelt. Vincent van Gogh etwa, der an Depressionen litt, oder Edvard Munch, der in seinem berühmten Werk „Der Schrei“ seine Angstzustände und existenziellen Zweifel verewigte. Für viele dieser Künstler war die Kunst nicht nur Ausdruck, sondern eine Überlebensstrategie – ein Ventil, um mit dem Unerträglichen klarzukommen. Die Leinwand wurde zum Ort der Heilung, der Pinsel zum Werkzeug innerer Befreiung.

Auch heute, weit entfernt von den Kunstmetropolen des 19. Jahrhunderts, erleben Menschen in emotionalen Grenzsituationen die heilende Kraft der Kunst – manchmal ganz unerwartet. So etwa ein Patient aus dem AMEOS Klinikum Haldensleben, der beruflich regelmäßig mit belastenden Situationen konfrontiert ist. Als Kriminalkommissar wird er fast täglich mit Schmerz, Leid und dem plötzlichen Tod konfrontiert – Erfahrungen, die sich tief in seine Psyche eingebrannt haben. Lange konnte er keinen Weg finden, das Erlebte zu verarbeiten. Gespräche halfen, aber die inneren Bilder blieben. Erst durch die Teilnahme an einer Kunsttherapie entdeckte er, wie sehr ihm das Malen dabei hilft, seine Traumata sichtbar zu machen – und ihnen damit Stück für Stück die Macht über seinen Alltag zu nehmen. Die Farbe ersetzt die Worte, die ihm oft fehlen. In seinen Bildern wird das Unsagbare fassbar – und ein innerer Heilungsprozess kann beginnen.

„Er schuf unzählige Bilder während seiner Therapiestunden. Die ersten Werke waren überwiegend in dunklen Farben gehalten, manchmal mit roten Akzenten. Später kamen mehr Farben dazu, Blau und Gelb“, erklärt Therapeutin Martina Otte. Obwohl die Bilder abstrakt sind, ist die düstere Stimmung, die Gewalt, Wut und Verzweiflung widerspiegelt, deutlich erkennbar.

In der Kunsttherapie geht es nicht darum, ein „künstlerisches Meisterwerk“ zu erschaffen, sondern darum, den kreativen Prozess als Ausdruck der inneren Welt zu nutzen. Doch der Patient fand im Malen weit mehr: „Er entdeckte, dass er nicht nur einen Weg gefunden hatte, seine Emotionen zu verarbeiten, sondern auch eine Möglichkeit, die komplexen und oft überwältigenden Facetten seiner inneren Welt auszudrücken“, erklärt Therapeutin Otte. 

Diese Entwicklung in den Bildern des Patienten verdeutlicht nicht nur den therapeutischen Prozess, sondern zeigt auch, wie Kunst als Mittel zur Bewältigung und Heilung dienen kann. Es war eine Reise von der Dunkelheit zur Farbe, die sich in seinen Werken widerspiegelte und sowohl die Tiefe seines Traumas als auch die zarten Anfänge der Heilung darstellt.

Mit der Zeit reifte die Idee, diese Bilder einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Die Kunsttherapie wurde von einem individuellen Prozess zu einer Möglichkeit, das Erlebte mit anderen zu teilen und auch den heilenden Effekt der Kunst über die Klinikmauern hinaus zu verbreiten. So entstand die Idee einer Ausstellung – „Perspektivwechsel – Zwischen Leben und Tod“, eine Präsentation der Werke des Patienten, die nicht nur seine Reise durch die Kunsttherapie dokumentierte, sondern auch anderen die Chance gab, sich mit eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen.

Die Ausstellung fand in einem geschützten Rahmen statt, der sowohl Patienten als auch Klinikmitarbeitern die Möglichkeit gab, die Werke zu sehen und zu reflektieren. Die Reaktionen waren überwältigend. Viele Patienten zeigten großes Interesse und berichteten, dass die Bilder sie tief berührt hatten. Einige blieben lange vor den Kunstwerken stehen und diskutierten mit anderen über die Bedeutung der dargestellten Gefühle und Bilder. Es war offensichtlich, dass die Werke des Patienten nicht nur eine persönliche Therapiegeschichte erzählten, sondern auch eine starke emotionale Resonanz bei den anderen Zuschauern hervorriefen.

„Ich hätte nie gedacht, dass Kunst so etwas in mir auslösen kann“, sagte einer der Besucher, ein Patient der psychiatrischen Abteilung. „Es hat mir geholfen, meine eigenen Ängste und Emotionen besser zu verstehen. Vielleicht sollte ich es auch mal mit dem Malen versuchen.“ Die Ausstellung wurde zu einem wichtigen Moment der Auseinandersetzung und Reflexion und zeigte, wie Kunst als eine Form der Therapie tiefere emotionale Prozesse anstoßen kann. „Es ist nicht auszuschließen, dass wir auch zukünftig unseren Patienten diese Plattform geben, vielleicht noch in diesem Jahr und dann gern mit interessierten Besuchern.“ erklärt Martina Otte 

Foto: AMEOS
BU: Zeichnungen des Patienten, die im Rahmen der Kunsttherapie entstanden sind.